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Die Zukunft des Kundenservice nach Corona

Im März und April letzten Jahres brachte das Coronavirus unsere Welt zum Stillstand. Industrie und Handel mussten in kürzester Zeit umdenken. Viele Beschäftigte mussten in Home Office oder Kurzarbeit, andere suchten nach Wegen, am Arbeitsplatz Abstand zu halten und sich zu schützen. Aufträge wurden storniert und die Angst vor einer Rezession ging um. Seitdem haben wir uns an vieles gewöhnt. Doch die Sorgen um die Zukunft bleiben. Was kommt auf uns zu? Wie wird sich der Kundenservice weiterentwickeln? Was sind die Worst-Case-Szenarien, auf die wir im Service uns einstellen müssen? 

Beschäftigte im Kundenservice haben zumindest oft das Glück, im Home-Office arbeiten zu können. Doch einfach ist das nicht, wenn zu Hause wenig Platz ist, die heimische Internetverbindung langsam ist und wenn der Fernzugriff auf das ERP-System nur im Schneckentempo funktioniert. Auch fehlt der Kontakt zu den Kolleg:innen und der kurze Draht zu anderen Abteilungen. Der kleine Dienstweg, auf dem so viele Probleme gelöst werden, ist mühsamer.

Im April habe ich basierend auf einem sehenswerten Video von Pero Micic verschiedene Szenarien entworfen, in welche Richtung der Kundenservice entwickeln könnte. Vom blauen Auge bis hin zu einem Systemwechsel. Die Szenarien wurden anhand zweier Achsen entwickelt: Steht uns eine schwache oder eine starke Rezession bevor und wird sie kurz oder lange dauern?

Blaues Auge: nichts ändert sich

Der Kundenservice läuft weiter wie bisher. Service-Mitarbeiter:innen im direkten Kundenkontakt müssen auf Hygiene und Mundschutz achten. Kund:innen sind eine Zeitlang etwas dünnhäutiger und nervöser, doch spätestens nächstes Jahr normalisiert sich der Service. In manchen Bereichen wird die Kundschaft vermehrt nach digitalen Lösungen, z.B. Videokonferenzen fragen. Jedoch sind alle froh, wieder direkten Kontakt zu anderen Menschen haben zu dürfen.

So wünschenswert dieses Szenario ist, birgt es doch eine Gefahr: Wir kehren zur gewohnten Arbeit zurück, ohne aus der Pandemie zu lernen. Deutschland hat in den vergangenen 70 Jahren eine Phase der Stabilität und des Wohlstandes erlebt, die es in der Geschichte nie zuvor gab. Darauf ruhen wir uns ein wenig aus – und haben in den vergangenen Jahren wichtige Entwicklungen versäumt: Automatisierung von nicht wertschöpfender Arbeit und Digitalisierung, Ausbau neuer Kommunikationskanäle über das Marketing hinaus, Befriedigung des Informationshungers und des Sicherheitsbedürfnisses der Kunden. Gewinner sind jene Firmen, die entweder systemrelevant sind oder frühzeitig auf Online-Angebote gesetzt haben. Es gibt nicht nur Amazon, sondern auch viele kleine Onlineshops mit oft wunderbarem Angebot und Service! Warum soll ich dann noch hier im Ort einkaufen, wo ich weniger Auswahl habe, schlechtere Produkte bekomme, wenig über die Produkte erfahre, mehr bezahle und manchmal sogar unfreundlich behandelt werde? Manche Buchhandlungen legen kleine Zettel in die Bücher, auf denen die Buchhändler ganz subjektiv über das Buch schreiben. Das ist die analoge Umsetzung der Kundenbewertungen bei Amazon. Eine großartige Idee – warum hat die noch kein anderer Einzelhändler kopiert?

Nehmen Sie sich Zeit, aus der Pandemie zu lernen

Krisen sind Angebote des Lebens, sich zu wandeln.

Luise Rinser zugeschrieben

Anja Förster und Peter Kreuz schrieben heute in Ihrem Newsletter „Wer die Zäsur durch die Pandemie wirklich nutzt, muss sich von dem Wunsch verabschieden, dass alles wieder so sein soll wie früher – und zwar dalli. Das „Danach“, das direkt ins „Davor“ zurückführt – das wäre eine gigantische verpasste Chance.“

In welche Richtung könnte der Wandel gehen? Im Kundenservice gibt es zwei zentrale Fragen: Welchen Wert schaffen wir im Service für unsere Kunden, damit sie gerne bei uns kaufen und nicht zu einem anderen Anbieter wechseln? Und wie unterstützen wir zusammen mit dem Vertrieb unsere Kollegen in Entwicklung, Produktion und Marketing mit wertvollem Marktwissen und Kundenfeedback? 

Die Chance, mit einem blauen Auge davon zu kommen, ist vermutlich vorbei. Während ich dies schreibe, sind wir wenige Tage vor Weihnachten im zweiten Lockdown. Wir werden noch lange mit großen Einschränkungen leben und arbeiten. Das sorgt für Unruhe in der Bevölkerung, von der nationalistische und populistische Bewegungen profitieren. Viel wahrscheinlicher ist inzwischen daher das zweite Szenario.

Lange Krise: Sparzwang verändert den Kundenservice

Eine lange Krise halte ich für das wahrscheinlichste Szenario. Die Auswirkungen von zwei oder mehr Lockdowns auf die Wirtschaft werden wir erst im nächsten Jahr sehen. Viele Unternehmen und Selbstständige werden in finanzielle Schwierigkeiten geraten, manche Branchen werden deutlich schrumpfen, zum Beispiel Tourismus, Mobilität und Kultur. Andere Unternehmen sind krisenfest, weil ihre Produkte immer gebraucht werden, z.B. Heizungsbauer. Doch auch sie sollten sich auf sparsamere Kunden einstellen, die eine Anschaffung oder Wartung verschieben, bis es wirklich nicht mehr anders geht. Es wird auch Gewinner geben: Anbieter von Videokonferenzplattformen ebenso wie auf Turn-Arounds spezialisierte Unternehmensberater. Auch die Anbieter von Luxusgütern werden vermutlich wenig zu befürchten haben, denn die Reichen kommen aktuell gut durch die Pandemie.

Der Kundenservice ist finanziell unter Druck und muss seine Daseinsberechtigung beweisen. In den Unternehmen werden Forderungen laut, Beschäftigte im Kundenservice müssten durch Cross- und Upselling aktiv verkaufen. Der Kundenservice muss dem Top-Management seinen Wert beweisen, harte Daten zu Kundenbindung und Kundenrettung durch den Service werden verlangt. Die Vorgaben für Gesprächszeiten werden strenger, der Service Level wird gesenkt. Digitale Lösungen wie Chatbots, Helpcenter und FAQs werden auf der Webseite eingeführt, um Personalkosten zu sparen. Kunden sollen sich mit den digitalen Angeboten selber helfen und den teuren Servie überflüssig machen. In Ladengeschäften wird stark automatisiert, so wie es Banken, Flughäfen und Bahngesellschaften mit Geld-, Ticket- und Check-In-Automaten vorgemacht haben. Das Interesse an künstlicher Intelligenz (KI) steigt in der Führungsebene. Bloomberg sagte bereits 2017 voraus, dass die Arbeit von Customer Service Representatives mit einer Wahrscheinlichkeit von 55 % ganz oder teilweise automatisiert werden wird.

Schaffen Sie Wert für Kunden und Unternehmen

Stellen Sie eine Bilanz aller Aufgaben und Prozesse auf: Was sind Dokumentation, Bürokratie, Kontrollen und andere nicht wertschöpfende Aufgaben? Dann stellen Sie einen Plan auf, wie Sie diese Prozesse entweder automatisieren oder wertschöpfend nutzen können. Zum Beispiel können Sie Bots programmieren lassen, die manche Rechnungskorrekturen selbstständig durchführen und die Rechnung nach einer Kontrolle durch Beschäftigte selbstständig verschicken. Oder Sie nutzen die im CRM mühsam gesammelten Daten für ein Dashboard zu häufigen Kundenfragen, das Sie Entwicklung, Produktion und Marketing zur Verfügung stellen. Überlegen Sie auch, wie Sie mit der gesparten Zeit für die Kunden Wert schaffen. Zum Beispiel durch Hilfe-Artikel auf der Webseite oder verbesserte Handbücher.

Mega-Crash: Servicebeschäftigte unterstützen Bots

Noch können wir nicht sicher sein, dass die globale Wirtschaft nicht zusammenbricht. Daher ist ein drittes Szenario möglich und wird wahrscheinlicher, je länger die Pandemie dauert. In diesem Szenario nehmen Konflikte in und zwischen Staaten zu, das öffentliche Leben wird für lange Zeit eingeschränkt und kontrolliert, viele Menschen haben ihre Ersparnisse verloren. Deswegen kaufen sie nur das, was sie wirklich brauchen. Insolvenzen und Arbeitslosigkeit steigen massiv.

Im Mega-Crash gehen viele Service-Jobs durch Insolvenzen und Stellenabbau verloren. Alle Abteilungen, die nicht unmittelbar an der Wertschöpfung beteiligt sind, geraten unter Druck. Kundenservice wird soweit möglich reduziert und automatisiert, die Beschäftigten müssen in den Verkauf wechseln oder können vielleicht andere Positionen übernehmen. Service-Mitarbeiter:innen mit guten IT-Kenntnissen übernehmen Hintergrundarbeit in der Automatisierung und betreuen neben den Chatbots und Wissensdatenbanken die wenigen Fälle, die zu einem Menschen durchgestellt werden. Wer nicht zum Wechsel bereit ist oder nicht die benötigten Kompetenzen mitbringt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitslos.

Schulen Sie IT-Kenntnisse und bauen Sie menschliche Stärken aus

Suchen Sie zusammen mit Beschäftigten, Kollegen und Führungskräften ihrer aller menschliche Stärken im Service, die keine KI und kein Bot ersetzen können, und bauen Sie diese aus. Schulen Sie die Beschäftigten intensiv in IT-Themen, die über die Bedienung des ERP-Systems hinaus gehen: Wie funktionieren Wissensdatenbanken, wie werden Chatbots trainiert, wie bekommt man Daten aus einer Datenbank? Bauen Sie ihr Anwenderwissen aus, damit sie für die Zukunft gut gerüstet sind. Finden Sie Nischen für jene Beschäftigten, die dabei nicht mithalten können.

Systemwechsel: zum Guten oder zum Schlechten?

Kommt es im Mega-Crash zu gewaltsamen Protesten der Bürger:innen, so ist ein Systemwechsel mit einer grundlegenden Veränderung des gesellschaftlichen Systems und der Wirtschaft möglich. Der Weg Deutschlands wäre nicht vorhersagbar. In jedem Fall ändert sich das Arbeitsumfeld.

Entsteht ein repressives System, so haben wir die Wahl zwischen Anpassung, Widerstand und Ausweichen (Auswanderung oder Rückzug ins Private). Die Vereinnahmung der Querdenker:innen durch Rechtsextreme in der aktuellen Pandemie zeigen mir, dass wir uns gegen Ansätze zu einem repressiven System wehren müssen.

In einem trumpistischen System wird der Kapitalismus von der Leine gelassen und nationale Grenzen werden wichtiger. Unter Zöllen und nationalen Egoismen leiden vor allem internationale und exportierende Unternehmen. Das könnte vor allem die deutsche Wirtschaft hart treffen. Donald Trump wurde im November abgewählt. Das lässt mich hoffen, dass wir keinen globalen Systemwechsel zu nationalistischen, populistischen Systemen erleben werden.

Sollte Deutschland einen anderen Weg gehen, entsteht ein Land mit starken sozial-ökologischen Standards. Repaircafés und neue Umweltstandards haben zum Ziel, Dinge länger nutzbar zu machen. Langlebige Güter lassen den Umsatz sinken und Hersteller brauchen neue Wege, Service und Reparaturen zu finanzieren. Den ersten Schritt in diese Richtung ist das Europäische Parlament kürzlich mit dem „Recht auf Reparatur“ gegangen. Service wird als wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie gesehen, da er hilft, die Vorgaben zur Produktlebenszeit zu erfüllen.

Politik und Wirtschaft haben starke Beharrungskräfte, die aus Sorge vor Unsicherheit und aus Eigeninteressen das aktuelle System retten wollen. Dagegen stehen Bewegungen wie Fridays for Future, die einen Systemwechsel laut fordern. Es steht noch in den Sternen, ob sich bei einem Systemwechsel ein nachhaltiger oder ein nationalistisch-populistischer Weg durchsetzen kann.

Suchen Sie kreative und aufrechte Mitstreiter:innen

In einem Systemwechsel lässt sich die Zukunft nicht vorhersagen. Daher gilt es, kreativ nach neuen Chancen zu suchen und offen für neue Wege zu sein. Suchen Sie Beschäftigte, Kolleg:innen und Führungskräfte, die das mitbringen und dabei vorausgehen. Suchen Sie auch Menschen mit Rückgrat und Mut, die gegen ein repressives oder trumpistisches System aufstehen und mit Ihnen zusammen Ihren Bereich und Ihr Unternehmen schützen. 

Haben Sie immer einen Plan B, C, und D!

Das Jahr 2020 hat mir gezeigt, dass es wichtig ist, immer einen Plan B, C, und D im Kopf zu haben. Lebenslanges Lernen ist unerläßlich. Und wir müssen immer wieder Neues ausprobieren, auch wenn es anstrengend ist und wir uns zu Beginn dumm fühlen. Suchen Sie für sich selber, Beschäftige, Kolleg:innen und Führungskräfte Gelegenheit zum Lernen und fordern Sie es ein. Bots müssen geplant und trainiert werden, Prozesse können oft vereinfacht werden, Kontakte zu anderen Abteilungen wollen aufgebaut und gepflegt werden. Machen Sie das nicht alles selber, sondern beziehen Sie die Beschäftigten im Kundenservice ein. Sonst bringen Sie sie um die Chance, ihre Zukunft zu sichern.

"Krisen sind Angebote des Lebens, sich zu wandeln" (Luise Rinser). Nehmen Sie das Angebot des Lebens an und bereiten Sie Ihren #kundenservice auf die Zukunft vor. #kundenzauberin Klick um zu Tweeten

Für eine Kundin habe ich kürzlich das Wort „Challancen“ erfunden, denn in manchen Herausforderungen stecken tatsächlich Chancen. Ich wünsche Ihnen viel Kraft, im nächsten Jahr solche Chancen zu finden und zu erkunden. Nehmen Sie sich in der ersten Woche des neuen Jahres Zeit und schreiben Sie Ihre Gedanken für die vier Szenarien auf. Was könnte in Ihrem Unternehmen mit Ihrem Serviceteam passieren? Was können Sie im Service, das kein Bot und keine aktuell verfügbare Künstliche Intelligenz ersetzen kann? An welcher Stelle hilft der gezielte Einsatz von Automatisierung, damit Ihr Team mehr Zeit für wertschöpfende Arbeit hat und nicht mit Aufgaben beschäftigt ist, für die Kundschaft ungern bezahlt? Wie können die Beschäftigten von Verwaltungsangestellten zu Kundenzauber:innen werden?

Und dann stellen Sie die Weichen für Ihren Service der Zukunft. Bereiten Sie Ihr Team auf die Veränderungen vor, damit sie alle auch in einigen Jahren noch Arbeit haben! Ich unterstütze Sie gerne dabei.

Bild von Sven Fischer auf Unsplash.com, Unsplash-Lizenz

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