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Kundenservice verbessern heißt auch: Entscheiden, was Sie nicht machen

Im Kundenservice wollen wir alles zugleich leisten: Wir wollen schnell, freundlich und kompetent sein, auf die Kundenwünsche eingehen und den Service digitalisieren. Das Vorbild sind Luxushotels, in denen den Gästen jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird. Doch sind Ihre Kunden bereit, dafür einen Premium-Preis zu zahlen? So wie in einem Luxus-Hotel?

Wenn Sie nicht in einem Luxus-Hotel arbeiten, dann haben Sie wahrscheinlich keine unbegrenzten Ressourcen zur Verfügung. Sie können nicht für jeden Kunden alles machen. Dann brauchen Sie den Mut, im Kundenservice manches schlecht zu machen, um Ressourcen für anderes zu haben.

Ich kann schon Ihre Gedanken lesen: „Wo kommen wir da hin? Wir können doch  nicht bewusst Dinge schlecht machen! Wir müssen uns einfach mehr anstrengen, dann klappt das schon. Frau Wetzel, Sie sagen doch selber immer: Service ist eine Einstellung. Die Einstelllung muss sich ändern, damit wir Service Excellence erreichen. Wir müssen in unserem Kundenservice alles verbessern.“

Wer im Service alles möglich machen will, drückt sich vor der Entscheidung, was wichtig ist. Klick um zu Tweeten

Wer im Kundenservice alles möglich machen will, drückt sich vor der Entscheidung, was für die Kunden wichtig ist

Als ich vor bald elf Jahren im Kundenservice begann, habe ich genau das gelernt: Wir müssen alles perfekt machen. Wir dürfen uns keine Ausrutscher leisten. Wir müssen schnell und freundlich und kompetent und flexibel sein. Unsere Schwächen müssen wir ausmerzen. Es ist nicht erlaubt, an einer Stelle bewusst Abstriche zu machen, denn das ist keine Exzellenz. Gut, wir haben Abstriche gemacht, aber sie waren uns nicht bewusst. Wir haben lange Zeit keine digitalen Werkzeuge eingeführt, weil wir sie nicht kannten. Als wir sie kannten, wuchs unser Anspruch und wir führten sie ein: Ein besseres ERP-System, eine bessere Telefonanlage, ein CRM-System, einen Live Chat.

Es ist die Natur ehrgeiziger Menschen, dass wir nicht damit leben wollen, in etwas schlecht zu sein. Sich dafür zu entscheiden, in etwas schlecht zu sein, fühlt sich falsch an. Klar ist es schwer, alles gut zu machen, und es fordert Superkräfte. Dann müssen wir uns eben mehr anstrengen. Mit genug Motivation schaffen wir das. Hier handelt es sich schließlich um Dinge, die wir willentlich beeinflussen können. Wenn wir das nicht schaffen, leisten wir schlechten Service. So dachten wir damals und so denken viele Menschen.

Eine bewusste Entscheidung, bestimmte Sachen schlecht zu machen, also keine Ressourcen dafür zu investieren, fühlt sich furchterregend an. Denn das Risiko ist groß, dass Sie sich für die falschen Dinge entscheiden. Dann leidet Ihr Kundenservice wirklich und mit ihm das Unternehmen. Es fühlt sich weit weniger gefährlich an, alles gut machen zu wollen. Vor allem müssen Sie dafür keine Entscheidung treffen: was machen wir und was machen wir nicht? Ohne Entscheidung gibt es vermeintlich auch keine Schuld, sich falsch entschieden zu haben.

Der herkömmliche Weg, den Kundenservice zu verbessern, ist dieser: Neue digitale Werkzeuge werden eingeführt, aber nichts ändert sich. Die Führungskräfte versuchen, die Beschäftigten zu mehr Leistung zu treiben. Eine Trainerin wird ins Haus geholt, um zu zeigen, wie es besser geht. Zur Motivation der Beschäftigten werden Boni und Zusatzleistungen eingeführt. Ist das Unternehmen Kennzahlen-getrieben, dann werden die Ziele hoch gesteckt: x% über dem Ergebnis des Vorjahres für alle Kennzahlen. Ist das Unternehmen bauchgetrieben, dann gibt das Management vor, was zu tun ist. Die Prioritäten wechseln gelegentlich, je nachdem, was gerade nicht gut funktioniert.

Dieses Modell verlangt nach Helden im Service. Denn es läuft darauf hinaus, alles besser machen zu müssen. Sich mehr anstrengen zu müssen, sich mehr zu strecken. Schneller zu arbeiten und zugleich bessere Ergebnisse zu bringen. Die Zeiten sind hart und die Arbeit wird härter. Die Menschen im Unternehmen sind frustriert, weil sie es nicht recht machen können. Manche brennen aus, manche ziehen sich zurück.

Stellen Sie sich vor, ein junger Mensch hat eine außergewöhnliche Begabung für Musik. Sie möchten dies fördern: mit einem Instrument, mit Unterricht bei den besten Lehrern und mit Konzertreisen. Wird dieser Mensch zugleich auch außerordentliche Leistungen in der Schule bringen können? Eine Weile vielleicht, doch vermutlich nicht auf Dauer. Wird er zugleich viele Freunde haben und ein gesundes Sozialleben? Wahrscheinlich nicht, denn der Tag hat nur 24 Stunden. Die Entwicklung des musikalischen Talents fordert Tribut.
Ähnlich ist es bei der Arbeit. Führungskräfte und Beschäftigte können nicht immer besser werden und immer mehr leisten, ohne etwas anderes sein zu lassen. Das liegt nicht daran, dass Sie die falschen Menschen für den Job sind. Sondern daran, dass sie alle zusammen sich weigern, Prioritäten zu setzen.

Gefährlich wird es dann, wenn die Ziele sich gegenseitig widersprechen. Wenn eines nur auf Kosten eines anderen erreicht werden kann. Wenn aber beide Ziele in den Jahreszielen und den individuellen Zielvereinbarungen stehen. Wenn die Beschäftigten zugleich schneller arbeiten und weniger Fehler machen sollen. Ohne dass sich an der Struktur der Arbeit etwas ändert, ohne dass Praktiken verändert werden.

Ihre Kunden sind die einzige relevante Referenz

Haben Sie bemerkt, dass ich in diesem Artikel noch nicht ein einziges Mal von den Kunden geschrieben habe? Das ist das größte Problem, wenn ein Unternehmen den Kundenservice verbessern will, indem einfach alle härter arbeiten: Alle kreisen um sich selber. Im Bestreben, in allem immer besser zu werden, hofft man, es den Kunden recht zu machen. Aber niemand denkt darüber nach, was die Kunden wünschen. Was ihnen wichtig ist und worauf sie weniger Wert legen. Der Kundenservice wird seine eigene Referenz, wenn doch die Kunden der Maßstab aller Aktivitäten sein sollten.

Als IKEA 1958 das erste Möbelhaus eröffnete, verstießen sie gegen die Regeln des Möbelhandels. Der Service war minimal: keine Montage der Möbel, keine ausführliche Beratung im Möbelhaus, keine Anlieferung der Möbel. Die Kunden mussten die Möbel selbst aus dem Lager holen und zur Kasse bringen. Dafür bot IKEA einen ganz anderen Service: Eine Erlebniswelt, die den Kunden zeigte, wie anders eine Wohnung aussehen kann. Preiswerte Möbel, die aber nicht billig aussahen. Möbel, die auch in die nächste und die übernächste Wohnung passen. Eine riesige Abteilung mit allerlei Kleinigkeiten, die eine Wohnung schön machen. Ein Restaurant und das Småland für die Kinder, damit die Eltern entspannt einkaufen können. IKEA machte vielen anders als andere Unternehmen und war damit erfolgreich. Inzwischen kopieren andere Unternehmen IKEA, bis hin zur Gestaltung der Etiketten an den Austellungsmöbeln.

IKEA hat strategische Entscheidungen getroffen, was sie nicht machen wollen. Damit haben sie riskiert, jene Kunden vor den Kopf zu stoßen, die genau das erwarteten. Sie brüskierten auch die alteingesessenen Möbelhäuser, die plötzlich altbacken wirkten. Sie waren anders und damit interessant für manche Kunden. Inzwischen hat IKEA sich an vielem an die traditionellen Möbelhäuser angepasst. Doch denken wir bei IKEA immer noch an SB-Lager, die Heimfahrt im übervollen Auto und an Imbus-Schlüssel und Bauanleitungen.

Kundenservice verbessern: Was ist für Ihre Kunden wichtig und was machen Sie gut?

In ihrem Buch „Uncommon Service: How to Win by Putting Customers at the Core of Your Business“ verwenden die Autorinnen Frances Frei und Anne Morriss eine Zuordnungskarte (Attribute Map), um den Service verschiedener Unternehmen zu analysieren. Für jede Serviceleistung bestimmen sie:

  1. Wie wichtig ist dieser Service den Kunden?
    Das ist die senkrechte Achse. Die wichtigsten Leistungen stehen oben, die unwichtigsten stehen unten.
  2. Wie gut erfüllt das Unternehmen diesen Service?
    Das ist die wagrechte Achse mit einer Skala von 1 (nicht erfüllt) bis 5 (vollständig erfüllt).

Für IKEA sieht meine Zuordnungskarte aus der Sicht der IKEA-Kunden so aus:

kundenservice verbessern
Zuordnungskarte von Serviceleistungen für IKEA und traditionelle Möbelhäuser

Kunden eines traditionellen Möbelhauses würden die Service-Leistungen auf der senkrechten Achse sicherlich anders sortieren.

Was wollen Ihre Kunden?

Eine solche Zuordnungskarte ist ein wertvolles Werkzeug. Die Tücke ist, die Service-Leistungen auf der senkrechten Achse richtig zu sortieren: Was ist Ihren Kunden wichtig? Was interessiert sie nicht?

Erstellen Sie eine solche Karte zusammen mit Kollegen, so werden Sie an diesem Punkt heftig diskutieren. Sie werden feststellen, dass Sie mit radikal verschiedenen Annahmen über Ihre Kunden arbeiten. Keine dieser Annahmen ist richtiger oder falscher als die andere, denn sie sind alle Annahmen. Entstanden aus Erfahrung, vermengt mit der eigenen Weltsicht.

Diese Annahmen mit Wissen zu unterfüttern, ist gar nicht so einfach. Natürlich können Sie Ihre Kunden fragen. Doch fällt den Kunden die Gewichtung ebenso schwer, wie Ihnen. Jedes Mal, wenn mich ein Marktforschungsunternehmen anruft (im Home Office passiert das gelegentlich), kämpfe ich damit, dass mir als Kundin meine eigene Gewichtung auch nicht ganz klar ist. Irgendwie scheint alles wichtig und nichts unwichtig. Auf nichts möchte ich verzichten.

Oft liegt es daran, dass die Fragen viel zu allgemein gehalten sind. Bequemlichkeit zum Beispiel kann für die Kunden ganz verschiedene Ausprägungen haben: Mir ist es wichtig, dass ich Läden in der Nähe habe, denn ich habe kein Auto. Anderen ist es wichtig, dass sie eine riesige Auswahl haben, dafür fahren sie gerne ins Outlet Center auf der grünen Wiese. Bevor Sie also Ihre Kunden befragen, formulieren Sie präzise Fragen.

Ob etwas wichtig ist, ist für viele Menschen auch nicht leicht zu sagen. Formulieren Sie die Frage um, so wird den Kunden die Antwort etwas einfacher fallen: „Angenommen, wir würden unsere Preisgestaltung offenlegen. Welche Serviceleistungen würden Sie streichen, wenn dadurch die Preise sinken würden?“ Oder Sie fragen: „Wenn wir nur einen der folgenden Services anbieten könnten, welcher wäre das für Sie?“

Ein anderer Weg ist eine Conjoint-Analyse (Link zu https://de.wikipedia.org/wiki/Conjoint-Analyse ). In einer solchen Analyse beurteilen die Kunden verschiedene Kombinationen von Service-Leistungen. Welche Option würden Sie wählen: mit Montage & ohne Beratung oder ohne Montage & mit Beratung. Aus vielen solcher Antworten lässt sich dann eine Rangfolge der Service-Leistungen berechnen. Schwierig bei der Conjoint-Analyse ist, dass Sie vielleicht eine wichtige Serviceleistung vergessen. Sie bekommen nur Antworten auf Ihre Fragen und lernen nichts darüber hinaus.

Dafür ist ein offenes Gespräch mit einigen Kunden wichtig, in dem Sie nicht eine vorgegebene Liste abfragen. Sondern statt dessen einfach frag en: Welcher Service ist Ihnen bei uns besonders wichtig? Welcher Service ist Ihnen bei anderen Unternehmen wichtig? Vergessen Sie nicht, auch jene zu fragen, die nicht Ihre Kunden sind. Denn sie haben einen Grund, sich gegen Sie zu entscheiden.

Verschiedene Kundengruppen werden Ihre Fragen ganz verschieden beantworten. Wer sein Haus mit Möbeln von Ligne Roset einrichtet, dem sind andere Dinge wichtig, als einer Studentin, die in einem 20qm-Zimmer lebt. Die Entscheidung für eine Kundengruppe fällt mit den Personas, die ich im vorletzten Artikel vorgestellt habe.

Wer versucht, es allen recht zu machen, wird am Ende niemanden begeistern. Klick um zu Tweeten

Vergleich mit den Mitbewerbern

Spannend wird die Zuordnungskarte, wenn Sie eintragen, wie Ihre Mitbewerber die Erwartungen der Kunden erfüllen. Stellen Sie dann fest, dass Sie und Ihre Mitbewerber sich nicht wesentlich unterscheiden, so wird es schwierig. Denn dann sind sie austauschbar und der Preis entscheidet. Schlecht ist auch, wenn Sie nur in unwesentlichen Serviceleistungen besser sind, als die Mitbewerber. Das kostet Ressourcen, bringt aber keinen Vorteil. Dann haben Sie zwei Optionen: Sie reduzieren den Service in diesen Bereichen und nutzen die Ressourcen an anderer Stelle. Oder Sie schaffen es, dass die Kunden ihre Prioritäten ändern. Vor IKEA hätte niemand freiwillig seine Möbel selber montiert. Für IKEA-Möbel waren die Kunden bereit, das zu tun, weil sie als erste andere wichtige Bedürfnisse erfüllten. Und weil IKEA es schaffte, dass wir stolz auf ein selber montiertes Möbelstück sind.

Wenn Sie bei den wesentlichen Leistungen deutlich besser sind, als die Mitbewerber, dann haben Sie offenkundig einen sehr guten Draht zu Ihren Kunden. Sie wissen, was ihnen wichtig ist. Sie investieren in die richtigen Dinge. Sorgen Sie dafür, dass es so bleibt und kontrollieren Sie die Kosten, damit Sie profitabel bleiben.

Was denken Sie? Können Sie sich nicht vorstellen, mit einer Zuordnungskarte den Kundenservice strategisch auszurichteen? Dann schreiben Sie gerne einen Kommentar.

Ich wünsche Ihnen eine zauberhafte Woche,
Ihre Wiebke Wetzel • Kundenzauberin

Titelbild von Natalie Fox auf Unsplash.com, Creative Commons Zero Lizenz

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3 Antworten auf "Kundenservice verbessern heißt auch: Entscheiden, was Sie nicht machen"

  1. Ein hervorragender Beitrag – der vor allem im höheren Management Pflichtlektüre sein sollte. Wünschenswert ebenfalls: Besprechung dieses Artikels im Team in Anwesenheit des Managers und die Konsequenz daraus für die tägliche Routine!

    Super!

    • Danke Frau Pohl!
      Ja, das ist etwas, womit sich viele Manager schwer tun. Denn sie stehen ja oft selber unter Druck, alles auf einmal zu leisten. In Ihrem Unternehmen ist das auf jeden Fall so.

  2. Ich stimme zu, dass wer im Kundenservice alles möglich machen will, der Entscheidung entkommt, was für die Kunden tatsächlich wichtig ist. Mein Onkel arbeitet im Kundendienst für einen großen Hersteller von Videospielen. Er ist der Ansicht, dass die Schwerpunktsetzung in diesem Bereich am schwierigsten zu erlernen ist.

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