Im Kundenservice sprechen und schreiben wir oft und ausführlich. Sprache ist das wichtigste Werkzeug, denn am Telefon und in E-Mails sehen die Kunden Mimik und Körperhaltung nicht.
Obwohl Sprache im Service bedeutend ist, machen sich die meisten erstaunlich wenig Gedanken darüber.
TL;DR
- Unsere Wortwahl zeigt, wie wir denken. Sprache lässt unser mentales Modell erkennen.
- Worte prägen unsere Denkweise. Das nutzen Werbung und Politiker. In Unternehmen sind sich die meisten Menschen dessen nicht bewusst.
- Wenn wir Sprache achtlos verwenden, dann bilden und verstärken wir vielleicht eine Sichtweise, die bei der Arbeit hinderlich sein kann.
- Kommunikation ist mehr, als der Transport einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikation.
- Durch Reframing (Umdeutung) lässt sich die Sichtweise von Menschen beeinflussen. Offenkundige Manipulation durch Reframing stösst auf Widerstand.
Sprechen können wir seit unserer Kindheit und Schreiben haben wir in der Schule gelernt. Ich weiß nicht, wie Ihr Deutsch-Unterricht war. Ich habe viele Klassiker gelesen und Gedichtbetrachtungen geschrieben. Doch leider nutzen mir meine lang verschütteten Kenntnisse von Versmaß und von den Gedanken expressionistischer Poeten heute nichts mehr. Ich freue mich, dass ich all dem damals begegnet bin – doch Kommunikation habe ich in der Schule nicht gelernt.
Vielen Menschen muss es genauso ergangen sein. Anders kann ich mir den nachlässigen Gebrauch der Sprache in Unternehmen nicht erklären. Da wird munter ein Code gesprochen, der Expertenwissen und Dazu-Gehören ausdrücken soll. Wenn alle von KPIs, Org Charts und Benchmarks sprechen, dann klingen Kennzahlen, Organigramme und Vergleichstudien altbacken. Über all den Buzzwords geht leider oft die Klarheit verloren.
Unsere Wortwahl zeigt, wie wir denken
Sprache drückt nicht nur Gedanken aus, sie lässt tief in unser mentales Modell der Welt blicken. Nehmen wir das Customer Relationship Management. Das klingt zunächst nach Wertschätzung: Die Unternehmen interessieren sich für die Kunden und wollen mit ihnen in Verbindung treten. Doch ein Mißton schwingt mit, denn eben jene Kundenbeziehungen werden gesteuert und verwaltet. To manage stellt klar, wer hier den Ton angibt: das Unternehmen. Verwalten Sie auch Ihre Familie und Freundschaften?
Projekte werden vielfach mit Metaphern aus der Maschinenwelt beschrieben. Wir sprechen von Verzahnung, vom Input und Output, von Rädern, die ineinandergreifen. Auch Bilder aus der Finanzwelt benutzen wir gerne: Menschen sind Humankapital oder Ressourcen – die zuständige Abteilung heißt Human Resources. Sie holt Beschäftigte bei Veränderungen ins Boot. Das klingt nach Mitsprache. Dahinter steckt aber eine Hierarchie, denn die Mitarbeiter haben keine Wahl, in welches Boot sie einsteigen wollen und schon gar nicht dürfen sie es steuern. Den Kurs bestimmen andere. Sie können nur mitkommen oder zurückbleiben – und mit den Konsequenzen leben.
Eine frühere Kollegin beschreibt ihren technischen Support als militärisch organisiert – das war ein Grund für mich, nicht an jenen Standort zu wechseln. Mir läuft es auch kalt den Rücken runter, wenn Servicekräfte als front-line employees bezeichnet werden. Ist Kundenservice Krieg?
An der Sprache einer Gruppe lässt sich sogar feststellen, wieviel sie leistet. Menschen in Hochleistungs-Teams stellen mehr Fragen, als sie Rechtfertigungen äußern. Ihre Redebeiträge sind fünfmal häufiger positiv als negativ. Und sie beziehen sich fast ebenso oft auf die Außenwelt wie auf das Team. Bei Teams mit schlechter Leistung dreht sich das alles um: Die Beschäftigten rechtfertigen sich weit häufiger, ihre Äußerungen sind doppelt so oft negativ wie positiv und sie kreisen fast nur um interne Themen des Teams (1).
Im Kundenservice zeigt die Sprache auf, wie wir über unsere Kunden denken. Ein Interims-Manager erzählte mir neulich, in seinem Unternehmen werde von Lieschen-Müller-Kunden gesprochen. Das finde er despektierlich. Ich stimme ihm zu. Wer so spricht, beachtet nicht, dass auch Käufer mit wenig Umsatz zum Unternehmenserfolg beitragen. Schlimmer noch: Es fehlt Respekt vor der Lebenserfahrung und beruflichen Leistung jedes Menschen, auch jener, die keinen vollen Geldbeutel haben.
Gerne wird im Kundenservice auch von schwierigen Kunden gesprochen. Wenn ich einen Menschen als schwierig bezeichne, dann sehe ich mich seinen Launen ausgeliefert. Eine vertrackte Situation kann ich hingegen beeinflussen. Fatal finde ich, wenn die Kunden klassifiziert werden und auf jede Schublade ein peppiges Schild geklebt wird. Da gibt es die Nörgler, die Besserwisser, die Querulanten und die Chaoten. Abgestempelt für alle Zeiten. Der Mensch verschwindet hinter dem Etikett. Seine Sorgen und Bedenken, seine vielleicht berechtigte Kritik werden zweitrangig. Er (oder sie) ist eben eine unangenehme Person. Der eigene Anteil an der Situation und an einer Lösung wird unsichtbar. So wirkt die Sprache auf unser Denken.
Die achtlose Verwendung von Wörtern ist fahrlässig
Wie sehr das Denken von der Sprache beeinflusst wird, zeigten Shai Danziger und Robert Ward an bilingualen Arabern in Israel, die arabisch und hebräisch fließend beherrschten (2). Sie stellten fest, dass diese Menschen arabische und jüdische Namen mal mehr, mal weniger mit positiven oder negativen Eigenschaften assoziierten. Der einzige Unterschied: Ob der Test in Hebräisch oder Arabisch durchgeführt wurde (3). Mit der Sprache änderten sich also die Vorurteile.
Wenn die Sprache sogar unsere tiefsten und unbewussten Überzeugungen beeinflusst, dann wird sie sich auch in Unternehmen auf die Arbeit auswirken. Wer Kundenbeziehungen managed, der sieht die Kunden nicht auf Augenhöhe. Kommunikation wird zur Einbahnstraße, Rückmeldung ist nicht vorgesehen. Kommunikationskanäle werden bespielt, nicht betreut.
Wörter lassen in unseren Köpfen Bilder entstehen. Darüber lässt sich steuern, wie andere über etwas denken. Politiker sind sich der Macht der Sprache bewusst. Sie nutzen sie, um die Gedanken der Zuhörer und Leser zu beeinflussen (4). Auch Werbung nutzt Wörter, um einem Produkt den gewünschten Anstrich zu geben. Reines Thermalplankton klingt wissenschaftlich und wirksam – oder etwa nicht?
Bilder im Kopf entstehen immer. Das können wir nicht verhindern. Wenn wir im Kundenservice intern achtlos Begriffe aus Militär oder der Welt der Maschinen verwenden, dann bilden wir stetig das entsprechende mentale Modell: Service ist Krieg oder Service funktioniert mechanisch. Entsprechend gehen wir Kundenanfragen an. Wir bilden und verstärken eine Sichtweise, die uns bei der Arbeit behindert. Dieser Prozess ist nicht beabsichtigt, denn die Wirkung von Sprache ist weitgehend unbewusst (4). Die achtlose Verwendung von Wörtern ist deswegen fahrlässig.
In der Kundenkommunikation treffen zwei Systeme aufeinander
Kommunikation ist der Transport von Information von einem Sender zu einem Empfänger. . Der Sender führt das Gespräch durch das, was er sagt oder weglässt. Das steht in nahezu jedem Fachbuch und ist ein Beispiel für Maschinendenken
Das Marketing kontrolliert somit die Kundenkommunikation. Drehen Sie das mal um, denn dann wird es spannend:
- Kommunikation „wird von den Beteiligten nicht gemacht, sondern eher wie ein wabbeliger Pudding balanciert“ (5).
- Sie erzeugt und erhält ein soziales System – ohne sie gibt es kein System (das gilt übertragen auch in der Biochemie: es gibt kein biochemisches System ohne Signalmoleküle).
- Der Empfänger ist der Chef (6). Denn entscheidend ist, was er versteht, nicht was der Sender sagen wollte.
Jeder dieser Sätze stellt das gängige Kommunikationsmodell auf den Kopf. Lassen Sie sie eine Weile auf sich wirken.
Kommunikation als Wackelpudding: das deckt sich mit der Erfahrung, die viele Beschäftigte im Kundenservice machen. Denn Kommunikation ist vielschichtig. Sprechen wir im Service mit einem Kunden, dann treffen immer zwei Systeme aufeinander: eine Firma und das Umfeld des Kunden. Die Sprache bildet die beiden Systeme ab und wirkt auf sie ein. Zugleich formt sich aus allen Kundengesprächen ein weiteres System: der Kundenservice. In diesem neuen System bildet sich eine Systemsprache. Sie fasst in Worte, was die Beschäftigten und die Kunden denken, und zugleich prägt sie ihre Sichtweise. Sie mag Menschen von außerhalb merkwürdig vorkommen. So, wie den Interims-Manager die Bezeichnung Lieschen-Müller-Kunden stört, weil er sie als respektlos empfindet. Doch wie kann er die Sprache der Beschäftigten verändern?
Reframing: Lassen sich mit einer anderen Wortwahl die Gedanken beeinflussen?
Psychologen nutzen dafür die Umdeutung (englisch: Reframing): Ein Patient betrachtet eine Situation aus einem veränderten Blickwinkel (Rahmen) und weist ihr eine andere Bedeutung zu. Aus der Therapie fand die Umdeutung den Weg ins Management. Es ist eine wertvolle Methode, Probleme aus einer gewandelten Perspektive zu betrachten und Lösungen zu entwickeln.
Reframing kann auch auf die Sprache angewendet werden, denn wenn unsere Sichtweise von Wörtern beeinflusst wird, dann kann ich über sie das Denken verändern. Das nutzen Marketer und Politiker gleichermaßen. Auch die Befürworter von gender-gerechter oder politisch korrekter Sprache hoffen darauf. Der Widerstand gegen ihre Bemühungen zeigt, dass es nicht einfach ist.
Verordnete Sprache führt meist zu Gegenwehr. Sie können natürlich die Nicht-Einhaltung sanktionieren. Doch ein solcher Maulkorb wird keine Wirkung auf die Kultur haben. Wenn ich dem Manager riete, einfach die Bezeichnung Lieschen-Müller-Kunde zu maßregeln und auf die Verwendung einer anderen Benennung zu bestehen, dann wird das Team ihm murrend folgen. Doch ihre Sichtweise wird sich nicht anpassen. Sie werden weiterhin auf Kunden mit wenig Umsatz herabblicken. Dieser Widerstand gegen eine verordnete Sprache als Eingriff in die Teamkultur ist sinnvoll. Denn jede Kulturveränderung gefährdet ein System, das bisher funktioniert hat (sonst würde es nicht mehr bestehen).
Menschen wehren sich bei offensichtlichen Versuchen, Ihr Denken zu manipulieren. Besonders dann, wenn auf diese Weise etwas unter den Teppich gekehrt werden soll. Wir alle haben zu oft erlebt, wie jemand Fakten sprachlich umdeuten wollte (und haben es gelegentlich selber getan). Wer wurde nicht schon gebeten, nicht von Problemen zu sprechen, sondern von Herausforderungen? Dabei unterschieden sie sich fundamental. Wird ein Problem solchermaßen umgetauft, dann vermissen jene, die es haben und lösen müssen, den Respekt vor ihrer Situation. Anstelle von mehr Lösungsorientierung entsteht Zynismus. Manipulative Sprache ist einer der Gründe, warum immer mehr Menschen Politikern, Journalisten und Managern misstrauen.
Interne Kommunikation verbessern: verstehen, nicht manipulieren
Über eine veränderte Wortwahl alleine werden Sie eine Unternehmenskultur nicht verändern. Dazu ist das kulturelle Immunsystem zu wachsam. Doch aufmerksame Wahrnehmung der Unternehmenssprache kann Sie unterstützen, die derzeitige Kultur zu verstehen:
• Welche Wörter verwenden Sie und Ihre Kollegen häufig und welchem Kontext entstammen sie? Kommen sie aus der Welt der Maschinen, aus dem Krieg oder aus der Bürokratie?
• Sprechen Sie oft im Passiv?
• Gebrauchen Sie oft den Konjunktiv?
• Verwenden Sie viele Verben kombiniert mit ich oder wir? Oder eher Nominalstil und man?
• Stellen Sie viele Fragen, um etwas gründlich zu verstehen?
• Rechtfertigen Sie häufig Ihre Position?
• Wird oft über Außenstehende gesprochen? Positiv oder negativ?
• Welche Wörter sind tabuisiert?
• Gibt es ausufernde Redebeiträge? Werden oft Beiträge anderer wiederholt?
Diskutieren Sie anschließend Ihre Erkenntnisse. Nun wird es spannend: Welche Gedankenwelt steckt hinter der verwendeten Sprache? Welche Überzeugungen können sich dahinter verbergen? Und welche Wirkung hat die Wahl der Worte auf das Denken im Unternehmen? Wie wirken sie sich auf das Handeln aus?
Eine solche Diskussion kann der Beginn einer Kulturveränderung sein.
Quellen und Erläuterungen
(1) Marcia Losada und Emily Heaphy (2004): The Role of Positivity and Connectivity in the Performance of Business Teams. American Behavioral Scientist, Vol. 47 No. 6, Seiten 740-765.
(2) Shai Danziger und Robert Ward (2006): Language Changes Implicit Associations Between Ethnic Groups and Evaluation in Bilinguals. Psychological Science, Vol. 21, No. 6, Seiten 799–800
(3) Danziger und Ward testeten das, indem sie maßen, wie schnell die Testpersonen eine vorgegebene Taste auf einer Tastatur drückten, wenn ein Name oder eine Eigenschaft eingeblendet wurden. Eine Gruppe sollte bei einem arabischen Namen oder einer positiven Eigenschaft auf „X“ drücken, sowie bei einem jüdischen Namen oder einer negativen Eigenschaft auf „M“. Bei einer zweiten Gruppe wurde die Paarung vertauscht: Nun lagen arabische Namen und negative Eigenschaften auf der gleichen Taste, während jüdische Namen und positive Eigenschaften zusammen gehörten. Dieser Test wird in der Wissenschaft verwendet, um unbewusste Voreingenommenheit gegen Rassen zu untersuchen.
(4) Falls Sie sich für den Gebrauch von Sprache in Politik und Journalismus interessieren, empfehle ich Ihnen das Buch von Elisabeth Wehling (2016): Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht. Herbert von Halem Verlag (Köln). Im ersten Teil des Buches beschäftigt die Autorin sich mit der Wirkung von Frames (Deutungsrahmen) auf die Sichtweise. Ihre Erkenntnisse lassen sich wunderbar auf die interne Kommunikation in Unternehmen übertragen.
(5) Dies ist ein gekürztes Zitat aus Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer (2012): Denkwerkzeuge für Höchstleister. Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen.Unibuch Verlag (Lüneburg).
(6) Für diesen schönen Satz danke ich Stephanie Borger (2018): Unkompliziert! Das Arbeitsbuch für komplexes Denken und Handeln in agilen Unternehmen. Gabal Verlag (Offenbach).
Titelbild und Sketchnote von Wiebke Wetzel, CC-BY-NC-ND-Lizenz
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Ihre Wiebke Wetzel • Kundenzauberin
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