
Gerade eben habe ich mit einer Nachbarin gesprochen, die gerade umzieht. Sie erzählte mir, dass sie in der neuen Wohnung acht Wochen auf ihren Internet-Anschluss warten muss, weil der Provider so ein riesiges Backlog hat. Sie ruft regelmäßig dort an und hat Schwierigkeiten, noch freundlich zu sein. Und das, obwohl sie selber einige Jahre in Call Centern gearbeitet hat. Sie weiß, dass die Mitarbeitenden in Call Centern die Wirksamkeit fehlt, sie also keinen Einfluss auf die Lösung der Probleme haben. Aber sie ist auch nicht mehr bereit, sich die immer gleichen Sätze anzuhören. Und schon gar nicht möchte sie sich am Telefon einen neuen Tarif verkaufen lassen, wenn schon eine Adressänderung Monate dauert.
Meine Bitten an Teamleiter und Manager in Call Centern
1. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden eine Chance ihren Job zu machen. Dazu gehören funktionierende Prozesse, die solch ein horrendes Backlog gar nicht erst entstehen lassen. Und wenn es existiert, dann gibt es Wege, es abzubauen: Überstundenprämien, Zeitarbeitskräfte, ein zeitweise eingebundenen externes Call Center oder KI-gestützte Software, die in CRM- und ERP-System integriert ist. Schauen Sie mal bei Sematell oder vergleichbaren Lösungen (Transparenzhinweis: Ich habe in der Vergangenheit eine Zeitlang gegen Bezahlung für Sematell gebloggt).
2. Hören Sie den Mitarbeitenden zu, auch wenn es schmerzhaft ist. Die Beschwerden sind kein unproduktives Gejammer, sondern Ausdruck ihrer Verzweiflung ob der fehlenden Wirksamkeit. Nein, die Mitarbeitenden sind nicht für die Lösung zuständig. Sie können Ideen und Vorschläge machen, aber Lösungssuche ist auch Aufgabe der Führungskräfte, die durch ihre Rolle viel mehr Einfluss haben. „Ich will keine Probleme hören, sondern Lösungen“ ist ein Satz, der die eigene Verantwortung leugnet. Zugleich sind nur 17% der Mitarbeitenden im Kundenservice zufrieden mit ihrer Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge zu machen.
3. Das Streben nach immer mehr Effizienz hat zu immer neuen Flaschenhälsen geführt, die die Effektivität sinken lassen. Wer auf allen Positionen und in allen Prozessen nach 100% Auslastung strebt, überlastet die naturgemäß immer vorhandenen Flaschenhälse und lässt das Backlog wachsen. Zudem hat ein solches Team keine Reserven, wenn es wegen Krankheit oder mehr Anrufen mal eng wird. Beherzigen Sie die Engpasstheorie – alle ihre Teile.
4. Sparen Sie sich alle Kommunikationstrainings, solange Sie nicht bereit sind, Prozesse zu verbessern. Denn das verschiebt die Verantwortung von der systemischen auf die individuelle Ebene. Niemand kann den Kund*innen auf Dauer die immer gleichen nichtssagenden Beschwichtigungsformeln sagen, ohne daran zu zerbrechen. Fehlt Mitarbeitenden in Call Centern die Wirksamkeit, also Einfluss auf die Lösung bekannter Probleme, sind sie Burnout-gefährdet. Kommunikations-Trainings fördern in dieser Situation Zynismus und sorgen nicht für eine bessere Kundenkommunikation.
Ja, guter Service kostet. Aber die ständige Beschwichtigung von Kund*innen, die immer wieder wegen der gleichen Sache anrufen, kostet noch mehr. Denn am Ende des Tages hat ihr Team für den gleichen Vorgang viel mehr Zeit gebraucht – und zwar tatsächliche Bearbeitungszeit. Die war nur auf mehrere Telefonate verteilt und fällt daher nicht auf. Deswegen sind First Call Resolution und gesamte Fallbearbeitungszeit wichtigere Kennzahlen als die Average Handling Time, die nur das einzelne Telefonat oder die einzelne E-Mail misst. Aus der Perspektive der Kund*innen ebenso, wie aus Ihrer Perspektive.
Bild von Shane Devlin auf Unsplash.com, Unsplash-Lizenz
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