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Kundengespräch: So können Sie richtig Zuhören lernen

Letzte Woche war ich auf einem Training. In der Pause erzählte eine Teilnehmerin von einem Erlebnis und mir gingen meine eigenen Erfahrungen durch den Kopf. Ich wollte sie unbedingt beitragen und fiel ihr ins Wort. Worum es ging? Das weiß ich nicht mehr. Denn ich habe ja nicht zugehört. Doch das ist im Kundengespräch wichtig. Ich habe mich gefragt: kann ich richtig Zuhören lernen?

Früher war alles besser

„Ich spüre, dass die Menschen nicht mehr so gut zuhören können wie früher. Das fällt mir auf, weil ich aufs Zuhören angewiesen bin.“ Karina Wuttke braucht ihre Ohren als Verbindung zu anderen Menschen, denn sie ist blind. (1)

Die Welt ist lauter geworden. In der einsamen Einkaufspassage einer Kleinstadt am Abend, wenn schon die letzten Geschäfte schließen, läuft Musik, die niemand hört. Die Autobahn in der Nähe meiner Wohnung nehme ich nur noch selten wahr. Und zum Einschlafen höre ich Podcasts, statt wie früher zu Lesen. Im Jahr 1877 erfand Thomas Edison den Phonographen und Menschen konnten Sprache und Musik aufzeichnen, um sie später anzuhören. Heute können wir vieles im Netz nachhören und ich habe mich selber schon mehr als einmal dabei erwischt, dass ich in Gedanken abschweifte, weil ich das wusste. Noch schlimmer: ich habe beim Hören eines Vortrags den Knopf zum Zurückspulen vermisst.

Doch war früher wirklich alles besser? Bei meiner Recherche stieß ich auf einen Artikel von 1957 (2). Ein hoher Manager sagte darin „Ich habe über Dinge nachgedacht, die in der letzten Zeit schief gegangen sind, und plötzlich wurde mir klar, dass viele der Probleme dadurch entstanden sind, dass jemand etwas nicht gehört oder falsch verstanden hat.“. Auch aus der Antike gibt es schon Zitate über das Zuhören, wie dieses: „Die Natur hat uns nur einen Mund, aber zwei Ohren gegeben, was darauf hindeutet, dass wir weniger sprechen und mehr zuhören sollten.“ (Zenon von Elsa, um 490-430 vor Christus).

Früher wie heute: Zuhören ist schwer. Auch heute, in der Zeit von Podcasts, E-Mail und SMS ist Zuhören für uns immer noch wichtig.

Doch leider: schon unmittelbar, nachdem wir jemandem konzentriert zugehört haben, erinnern wir uns nur an die Hälfte — auch wenn wir uns Mühe geben. Und nach 2 Monaten gar nur noch an ein Viertel. (3)

Hören ist passiv, Zuhören ist aktiv. Hören kann jeder, doch Zuhören ist schwieriger. Die Frage bleibt: kann ich richtig Zuhören lernen?

Was macht Zuhören so schwer?

Wir sprechen im Deutschen mit etwa 180 Lauten pro Minute (das entspricht 130 Wörtern pro Minute) (4) , doch wir denken schneller. So können wir beim Zuhören zugleich auf den Redner achten und über das Gehörte nachdenken. Das müssen wir sogar, um den Inhalt zu verstehen und um uns etwas zu merken. Einem sehr schnellen Redner können wir daher schlechter zuhören und wir erinnern weniger. Bei normaler Geschwindigkeit schweifen wir mit unserem unruhigen Geist leicht ab.

Alles, was wir hören, filtern wir. Wie passt es zu meiner Kultur, meinen Werten und meinen Glaubenssätzen? Was erwarte ich von dem anderen und wie passen seine Äußerungen dazu? Wie stehe ich zu ihm, sind wir in der gleichen Gruppe und stehen wir für die gleichen Ziele ein? Warum redet er und warum höre ich zu?

zuhören lernen

Diese Filter helfen uns, das Gehörte zu verstehen und es uns zu merken. Doch sie verzerren es auch — was ich mir merke ist nicht unbedingt das, was jemand gesagt hat.

Zuhören wird schwerer, wenn das Gesagte bei uns auf ein offenes Ohr trifft. Wenn wir eigene Erfahrungen gemacht haben, die uns wichtig sind, weil sie uns emotional bewegt haben. Denn dann erinnern wir uns und vergleichen. Schwups sind wir in unseren eigenen Gedanken unterwegs. Noch schlimmer: wir wollen davon erzählen. Unbedingt.

Im Kundengespräch kommt dazu, dass Mitarbeiter im Service manche Fragen und Beschwerden schon oft gehört haben. Sie wissen schon die meist richtige Antwort und das hindert Sie daran, gut zuzuhören. Doch ist die Antwort diesmal auch die richtige?Jeder Kunde hat einen anderen Hintergrund und damit ein anderes Problem. Und geht es nur darum, die richtige Antwort zu geben? Mindestens genauso wichtig ist es doch, dem Kunden Wertschätzung zu zeigen. Ein Service-Mitarbeiter, der ohne Wertschätzung die richtige Antwort gibt, wird dem Kunden nicht gut in Erinnerung bleiben.

Was passiert beim Zuhören?

Beim Zuhören arbeitet unser Gehirn parallel an vielen Aufgaben:

  • Wir achten auf die Stimme, auf Betonung, die den Inhalt verändern kann, auf Geschwindigkeit und Rhythmus. Auch die Weichheit der Stimme erzählt uns etwas über den Sprecher und seine Absichten. Ein Mensch mit einer weichen Stimme wirkt weniger kompetent und ein Mensch mit einer harten Stimme wirkt nicht empathisch.
  • Wir achten auf Körperspannung, Gestik und Mimik. Wer schlaff vor mir steht und mir versichert, dass er mir wirklich gerne eine Tasse Kaffee bringen wird, den befreie ich gerne von dieser Last.
  • Wir achten darauf, was uns Dialekt oder Akzent über die regionale Herkunft des Sprechers verrät. Wortwahl und Satzbau verraten mir die soziale Herkunft des Sprechers, wenn er nicht bewusst die Sprache seiner Kindheit abgelegt hat.
  • Wir überprüfen unsere Beziehung zum Sprecher und beurteilen, ob wir ihn mögen.
  • Wir analysieren den Inhalt und verknüpfen ihn mit unseren eigenen Erfahrungen. Und wir schweifen spontan ab, weil uns durch eine wilde Kette von Gedanken einfällt, dass wir zu Hause keine Butter mehr haben.

Der Zuhörer beeinflusst den Sprecher

Wie ich zuhöre spiegelt sich im Sprecher wieder. Wenn ich nicht bei der Sache bin und nicht reagiere, wird er frustriert und bricht vielleicht sogar ab. Wenn ich mich kritisch äußere, dann kann er unsicher werden oder genervt reagieren.

Wenn ich hingegen mit echtem Interesse am Menschen und unserer Beziehung zuhöre, dann unterstütze ich ihn im Gespräch mit Lauten und kurzen Fragen ebenso wie mit Nicken, Augenkontakt und Mimik. So baue ich Vertrauen auf und zeige dem anderen durch aktives Zuhören meine Wertschätzung (5). Der andere fühlt sich verstanden und wertvoll und er wird daher mehr über seine Gefühle erzählen und reflektieren (6).

So können Sie zuhören lernen

Anders als Schreiben und Lesen spielt Zuhören in unserer Schulbildung kein Rolle, denn das können wir ja schon. Wenn Sie besser Zuhören lernen möchten, müssen das auf eigene Faust machen. Suchen Sie sich einen Politiker oder einen anderen Prominenten aus, denn Sie nicht mögen und suchen Sie im Netz ein Video, in der er oder sie spricht. Hören Sie sich mindestens 3 Minuten an und schreiben Sie auf, was Ihnen danach durch den Kopf geht. Wie finden Sie den Menschen und den Inhalt?

1. Hinterfragen Sie Ihre Filter

Nun überlegen Sie, welche Filter Sie zu diesem Menschen und dem Thema im Kopf haben. Zum Beispiel: „Kommunisten fordern immer Unrealistisches“ oder „Grüne sind solche Weicheier“ oder „die Bayern wollen immer Sonderrechte“. Ein Tipp: Filter erkennen Sie oft am „immer“ und an Verallgemeinerungen.

Schauen Sie das Video nochmal an: welche Filter haben Ihre Wahrnehmung beeinflusst? Welche Filterwörter hat der Redner benutzt und was sagt Ihnen das über seine Motive?

2. Urteilen Sie nicht beim Zuhören

Ich hatte mal eine Kollegin, die über jeden und jedes sehr schnell ein Urteil fällte: „Das ist bekloppt“. Bekloppt ware alle, die sich anders verhielten als sie. Wie offen sind Sie für abweichende Meinungen oder Menschen? Wie oft urteilen Sie schon beim Zuhören, oder sogar bevor jemand den Mund öffnet?

Schauen Sie noch einmal das Video an und nehmen Sie sich dabei vor, nicht zu urteilen. Was verstehen Sie nun anders und was bemerken Sie zum ersten Mal?

3. Fordern Sie sich heraus

Wir teilen die Welt in gut und nicht-gut, in Freund und Nicht-Freund, in richtig und nicht-richtig. Fordern sie sich heraus, wechseln Sie die Seiten. Finden sie unterstützende  Argumente für die Meinung des Politikers oder Promis. Was stellt Ihre Meinung in Frage oder widerlegt sie gar? Welche Kniffe wenden Sie an, um Ihre Meinung dennoch behalten zu können? Halten Sie die Ambivalenz aus, dass es nicht nur richtig und falsch gibt, sondern auch vielleicht richtig oder vielleicht falsch.

4. Ändern Sie Ihre Wahrnehmung

Sind Sie ein empathischer Mensch, der vor allem auf die Beziehung und den Menschen achtet? Dann schauen Sie sich das Video besonders analytisch und kritisch an: welche Ideen trägt der Mensch vor, was gefällt Ihnen daran (nicht)? Sind Sie ein besonders analytischer oder kritischer Zuhörer? Dann schauen Sie sich das Video besonders empathisch an: wie fühlt sich der Mensch? Wie können Sie Verständnis für ihn entwickeln?

Sind Sie ein eher passiver Zuhörer? Dann machen Sie sich Notizen und fassen Sie das Video zusammen. Sind Sie ein besonders aktiver Zuhörer? Legen Sie Ihren Stift beiseite, denken Sie nicht voraus, starten Sie keine Recherche im Netz. Hören Sie einfach zu.

Geht Ihnen bei Zuhören Gott und die Welt durch den Kopf? Dann fokussieren Sie sich auf das Thema des Videos, schweifen Sie nicht ab, assoziieren Sie nicht. Sind Sie sehr konzentriert auf den Inhalt? Dann assoziieren Sie wild, lassen Sie Ihre Gedanken abschweifen.

5. Achten Sie auf alle Kanäle

Wie ist die Stimme des Redners? Weich oder hart? Rau? Wie betont er? Barack Obama betont wie viele Politiker meist über Lautstärke, Joachim Gauck über das Senken der Stimme und die Sängerin Nena über das Heben der Stimme. Das ändert unsere Wahrnehmung: wir finden den Menschen klar und selbstsicher (Obama), vertrauensvoll (Gauck) oder freundlich (Nena). (8)

Wie ist die Körpersprache und Mimik? Steif oder locker? Expressiv oder reduziert?

Was passiert sonst noch im Video? Hustet jemand, stellt jemand laut ein Glas ab oder raschelt mit Papier? Gibt es ein Publikum, fliegt ein Hubschrauber vorbei, läuft jemand durch den Raum? Achten Sie auf die leisen Nebentöne, die Sie sonst nicht wahrnehmen. (7)

Was bringt’s?

Wenn Sie wissen, worauf Sie im Kundengespräch achten müssen, dann lernen Sie viel über Ihren Kunden und seine Motive. So werden sie viel überzeugender mit ihm sprechen können und werden weniger mit Einwänden kämpfen müssen. Ein Einwand zeigt Ihnen, dass Sie nicht gut genug zugehört haben. Dazu lesen Sie mehr in einem der nächsten Artikel.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie stets gut zuhören,

Ihre Kundenzauberin

Wiebke Wetzel

Dies war der vierte Artikel in meiner Reihe zur Kundenkommunikation.

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Referenzen

1 Henning Sußebach (2009): Was siehst du? Was hörst du? Die Zeit Nr. 22, zuletzt aufgerufen am 17.11.2015

2 Ralph G. Nichols and Leonard A. Stevens (1957): Listening to people, Harvard Business Review

3 zitiert im HBR Artikel von Nichols und Stevens (Quelle 2) ohne Quellenangabe. Ebenfalls zitiert im TED talk von Julian Treasure (Quelle 7) als Nichols & Lewis (1954)
Originalquelle vermutlich  Nichols (1954): Report of the committee on listening comprehension, Journal of Communication, 4 (2): Seite 62. Mir nicht zugänglich.

4 Christian Gebhard (2012): Sprechtempo im Sprachvergleich: Eine Untersuchung phonologischer und kultureller Aspekte anhand von Nachrichtensendungen. Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin

5 Im Jahr 1942 entwickelte Carl Rogers das aktive Zuhören in der Psychotherapie. Heute wird es weit über die Psychotherapie hinaus bis hin in den Vertrieb genutzt.
Carl Rogers (1972): Die nicht-direktive Beratung. Original: Counselling and Psychotherapy (1942).

6 Keaton et al (2015): Relational listening goals influence how people report talking about problems, Communication Quarterly, 63(4), pp480-94 – ein in der Methodik und Aussage schwacher Artikel

7 Julian Treasure (2011): 5 ways to listen better, Vortrag auf der TEDGlobal Konferenz in Edinburgh, aufgerufen am 17.11.2015

8 Barbara Blagusz, Stimmcodes, so•zu•sagen Blog, aufgerufen am 17.11.201

Bild: Craig Sunter,  I am listening my dear!, auf Flickr.com unter Creative Commons CC-BY-ND 2.0 Lizenz

3. August 2023

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