Kürzlich fragte mich eine Leserin, wie man Reklamationen positiv beantworten könne.
In einer perfekten Welt könnten alle Kund*innen ihr Problem treffsicher beschreiben. Sie wären höflich, eloquent und fröhlich. Sie lieferten klaglos korrekte Daten zum Produkt und wie sie einsetzen. Bei eigenen Fehlern wären sie einsichtig. Sie wären dankbar für unsere Arbeit.
Wir leben leider nicht in einer perfekten Welt.
Vielmehr ist es für Kund*innen oft schwer, sich auszudrücken, und sie verwenden unklare Begriffe, die wir nicht verstehen. Sie reagieren müde, gestresst und genervt. Die übermittelten Produktdaten enthalten Zahlendreher und sind unvollständig. Das Produkt wird anders eingesetzt als in den Spezifikationen beschrieben, doch das erwähnen sie nicht – möglicherweise ist es ihnen auch nicht bewusst. Eigene Schnitzer finden sie peinlich und sie reagieren daher kurz angebunden oder weisen Fehler von sich.
Dazu kommen all die Tücken der Kommunikation: Missverständnisse, Unklarheiten und Gefühle. Und dann gibt es noch jene, die sich aufregen, laut werden, uns anbrüllen oder gar beleidigen. Selbst Drohungen kommen in manchen Branchen gelegentlich vor.
Brüllen und Beleidigungen: Die dunkle Seite der Reklamationsbearbeitung
Gebrüll, Beleidigungen und Drohungen sind nie angemessen und die müssen Sie sich nicht gefallen lassen. Es ist in Ordnung, in solchen Momenten eine Grenze zu ziehen und das Telefonat zu abzubrechen.
Nützliche Sätze dafür sind: „Bitte mäßigen Sie sich, sonst beende ich das Gespräch“ oder „In diesem Tonfall kommen wir nicht weiter.“
Versuchen Sie bitte, dabei höflich zu bleiben. Sie tun sich selbst keinen Gefallen, wenn sie schnippisch oder laut werden, denn dann eskaliert die Situation meist weiter. Wenn Sie sich zu einer bestimmten, aber verbindlichen Reaktion nicht mehr in der Lage sehen, legen Sie am Telefon einfach auf, ohne etwas zu sagen. Schützen Sie sich selbst.
Menschen, die verbal um sich schlagen, sind heute aber nicht mein Thema. Sondern die genervten und verärgerten, mit denen wir es im Alltag oft zu tun haben. Die auch mal die Stimme heben oder schnippisch werden, aber nie polternd oder beleidigend. Und es soll um die verwirrten, chaotischen Anrufe oder E-Mails gehen, die wir nicht verstehen. Sie machen es uns manchmal schwer, positiv auf Reklamationen zu antworten.
Zuhören: Der Kommunikations-Transporter
Bei Thermo Fisher hatten wir ein Produkt, das technisch recht simpel schien, aber kompliziert anzuwenden war. Es wurde selten verkauft und wenn wir eine Bestellung von neuen Anwender*innen erhielten, warteten wir fast schon auf die Reklamation. Zwar schickten wir einen guten Beipackzettel mit allen entscheidenden Hinweisen mit, doch wer liest die Anleitung für ein vermeintlich triviales Produkt? Außerdem war das vergleichbare Produkt eines Mitbewerbers einfacher anzuwenden.
Reklamierte jemand diesen Artikel, wussten wir schon, was los war und ja, wir hörten dann nicht immer perfekt zu (oder lasen die E-Mail nicht sorgfältig). Bis zu dem Tag, an dem es ein anderes Problem war und ich die Kundin zunächst falsch beriet. Zwar konnte ich den Fall am Ende lösen, aber der unnötige Umweg war mir eine Lehre.
Der erste Schritt zu einer positiven Antwort auf eine Reklamation ist daher: Was sagen die Kund*innen über sich und über ihre Situation? Da gilt es, genau zuzuhören und das im Dialog aufzugreifen. Ich erlebe immer wieder, dass Äußerungen der Kund*innen ungehört verhallen, weil sie nicht unmittelbar mit der Beschwerde zu tun haben. Wenn eine selbstständige Kundin sagt, dass sie wegen des reklamierten Produkts einen Auftrag nicht abschließen kann, dann empfiehlt es sich, darauf einzugehen. „Dann sollten wir zusehen, dass wir das Problem schnell lösen“ reicht, damit sie ich wahrgenommen fühlt.
Auch müssen wir die Reklamation inhaltlich verstehen, wenn sie jemand ohne Fachkenntnis vorbringt. Wir alle kennen es, wenn wir ein Software-Problem haben und nicht wissen, wie wir es beschreiben sollen – Informatiker ausgenommen. Das kann für unsere Kund*innen ein peinlicher Moment sein, denn niemand fühlt sich gerne dumm. Genauso schwierig ist es, wenn uns Sprachkenntnisse fehlen, weil sie die Beschwerde nicht in ihrer Muttersprache vorbringen können – Alltag für Expats und Migrant*innen in Deutschland. Sie wählen vielleicht ein falsches Wort und prompt kommt es zu einem Missverständnis.
Missverständnisse: Nebel im Gesprächsraum
Kommunikation ist immer auch Interpretation. Wir können nie davon ausgehen, dass wir uns gegenseitig verstanden haben. Daher entsteht manche kritische Situation aus einem Missverständnis, auch im Kundenservice, denn selbst eine freundlich gemeinte Äußerung kann falsch aufgefasst werden. So sagten mir gleich mehrere Beschäftigte in einem internationalen Team während eines Trainings, ein einfaches „Danke!“ sei sarkastisch gemeint, denn warum sei sonst das „!“ angehängt? Ich hingegen nutze das „!“ zur Verstärkung – seit diesem Training vor einigen Jahren vermeide ich das allerdings.
Bevor ich eine wortkarge E-Mail, EINEN IN GROSSBUCHSTABEN GESCHRIEBENEN SATZ oder Ausrufezeichen im Rudel (!!!) übel nehme, gehe ich immer von anderen Möglichkeiten aus. Wortkargheit kann ein Zeichen von Eile sein oder jemand ist wenig erfahren in schriftlicher Kommunikation. Großbuchstaben passieren uns allen gelegentlich und vielleicht hat die Zeit gefehlt, den Satz nochmal zu schreiben. Und die Rudeltiere !!! oder !?! stehen dafür, dass die Angelegenheit der anderen Person überaus wichtig oder sie ein wenig verzweifelt ist. Wir benötigen viel Empathie um auf solche Zeichen einzugehen, wenn wir Reklamationen positiv beantworten wollen.
Empathie: Treibstoff für erfolgreiche Kommunikation
Besonders im B2B-Bereich kann hinter einer Reklamation ein riesiges Problem für die Kund*innen stehen. Wenn die Produktion steht oder anzuhalten droht, wenn die Qualität plötzlich nicht mehr stimmt, dann brennt es. Dann kann es auch mal ruppig werden, denn alle stehen unter Druck.
Ich hatte früher oft mit Menschen in der Forschung Kontakt. An Hochschulen sind nahezu alle unterhalb der Professur befristet beschäftigt und hangeln sich von Projekt zu Projekt. Ich sprach mal mit einem Wissenschaftler, der sagte „Wenn ich das Experiment nicht zum Laufen bekomme, dann kann mich das den Job kosten.“ Kurz vor einer Begutachtung gibt es diese Sorgen tatsächlich.
Aber auch Verbraucher*innen können Sorgen haben, weil etwas nicht funktioniert. Wenn der Drucker ausgerechnet am Tag vor dem Urlaub blockiert und sie die Flugtickets nicht ausdrucken können, dann gehen die Nerven schon mal durch.
In solchen Fällen ist ein Satz wichtig, den ich oft zitiere: „Nobody cares how much you know until they know how much you care.“ Dafür braucht es Empathie – vor allem kognitive. Zeigen Sie den Kund*innen, dass Sie ihre Situation und deren Konsequenzen wahrnehmen. Das geht nur, wenn Sie zuhören und auf das eingehen, was sie über sich sagen. Ein „das ist bestimmt ärgerlich“ kann helfen, ansonsten spreche ich Emotionen eher nicht an. Denn die Forschung sagt, dass kognitive Empathie im Kundenservice mehr hilft als emotionale. Kognitive Empathie äußern Sie zum Beispiel mit dem Satz „da sind Sie ja in einer schwierigen Situation“.
Mit einem Danke Kurs auf die Lösung setzen
Wie oft hörte ich in einem Hotel bereits „Sie sind die Erste, die sich beschwert“, wenn das Hotel-WLAN mal wieder keine Verbindung zum Internet hatte. Das mochte ja sein, aber es funktionierte trotzdem nicht. Sachlich hat die Aussage vermutlich immer gestimmt. Aber leider lesen wir alle schnell einen Subtext mit, eine versteckte Bedeutung. Zum Beispiel: „Das liegt an Ihnen und nicht an unserem WLAN“.
Das können Sie mit einem magischen Satz vermeiden: „Danke, dass Sie sich gemeldet haben.“ Anschließend dürfen Sie auch gerne „Sie sind die Erste“ sagen, das wirkt gänzlich anders. Denn jetzt ist der Subtext „Jetzt kann ich mich darum kümmern, bevor andere auch Probleme bekommen“. Ein Trainingsteilnehmer sagte mal zu mir, ein Danke ginge gar nicht, da fühle man sich als Kunde doch verhohnepipelt. Am gleichen Abend hatte er im Hotel ein WLAN-Problem und die Mitarbeiterin an der Rezeption bedankte sich bei ihm für die Meldung. Sein angenehmes Gefühl in dem Moment überzeugte ihn sofort.
Ein Danke bedeutet nicht, dass Sie das reklamierte Produkt austauschen werden – ebenso wenig wie ein „das tut mir leid“ ein Schuldeingeständnis ist. Es heißt nur, dass Sie das Problem anerkennen und sich darum kümmern werden. Das kann auch heißen, dass Sie eine Kund*in technisch beraten, bis es klappt.
Beschwerde oder Reklamation?
Ich nutze die Ausdrücke Beschwerde und Reklamation. Zwischen beiden Begriffen gibt es juristisch einen Unterschied, der für diesen Artikel jedoch nicht relevant ist:
Eine Reklamation wird vorgebracht, wenn ein Produkt (oder eine Dienstleistung) nicht dem entspricht, was es hätte leisten müssen. Wenn also eine Maschine defekt ist, die Funktionen eines Produkts erheblich von der Beschreibung auf der Webseite abweichen, ein Handwerker mangelhaft gearbeitet hat. In diesem Fall machen Kunden einen Rechtsanspruch auf Ersatz oder Reparatur geltend. Sollte dieser Anspruch nicht gerechtfertigt sein, ist es besonders schwer, Reklamationen positiv zu beantworten.
Eine Beschwerde bezieht sich auf Versäumnisse, Ärgernisse oder Missstände, aus denen aber kein Rechtsanspruch abgeleitet werden kann. Wenn also die Lieferzeit recht lang ist, die Antwort auf E-Mails ungebührlich lang braucht oder wenn Informationen unvollständig sind. Auch Klagen über das Verhalten oder die Kommunikation von Beschäftigten sind Beschwerden. Sie entstehen aus enttäuschten Erwartungen.
Auf der Suche nach Lösungen: Die Mission der Zusammenarbeit
Eines meiner denkwürdigsten Erlebnisse als Kundin ereignete sich, als ich nach einigen Wirrungen ein weniger bekanntes Service-Team meiner Bank anrief. Dort fragte mich der Mitarbeiter, wer mir diese Telefonnummer gegeben habe. Auf meine Antwort hin holte er Luft und sagte „Ich hasse sie“. Nach kurzer Irritation entschärfte ich die Lage mit einem „Sie meinen hoffentlich nicht mich.“ Meinte er nicht, sondern die Kollegin, die mir seine Telefonnummer gegeben und mich damit an die falsche Adresse weitergeleitet hatte.
Wie in diesem Fall suchen wir oft nach Schuldigen. „Die Fehlerkultur in Deutschland ist beängstigend“ las ich mal. Das beobachte ich täglich in den Abendnachrichten. Allzu eifrig wird nach den Schuldigen gesucht. Dabei wird vernachlässigt, dass in einer komplexen Welt meist viele Beteiligte, Kausalketten, lange Vorgeschichten und Zufälle zu Schwierigkeiten und Verwicklungen führen.
Bei Reklamationen sollten wir eine Lösung finden, die das Problem auf Dauer löst, nicht nur für die nächsten 24 Stunden. Zwischenlösungen sind in Ordnung, damit die Kund*innen wieder arbeitsfähig sind – das ist im B2B-Bereich besonders dringend. Sie dürfen aber eine dauerhafte Lösung nicht ersetzen. Darüber hinaus sollten wir das Problem für die Zukunft verhindern, damit nicht weitere Kund*innen erbost anrufen. Fragen Sie sich, was Sie dazu beitragen können, das Produkt, die Dienstleistung, die Dokumentation oder das Marketing zu verbessern. Gibt es in Ihrer Firma dafür Kommunikationskanäle und Prozesse? Wenn nein: Haben Sie oder Ihre Vorgesetzten genug Einfluss, um sie zu schaffen?
Die letzte Grenze: Ein Nein und Reklamationen trotzdem positiv beantworten
Gewährleistung und Garantie sind klar geregelt, auch wenn es immer wieder Grenzfälle gibt. Wenn Kund*innen einen ungerechtfertigten Anspruch erheben, dann ist ein „Nein“ der wohl schwierigste Schritt und macht es schwer, eine Reklamation positiv zu beantworten. Folgende drei Schritte von William Ury finde ich hilfreich und nutze ich in meinem Seminar zum Beschwerdemanagement:
- Die Begründung: Warum sagen Sie Nein? Je überzeugender dieser Grund ist, desto standfester ist ihr Nein.
- Ein klares und höfliches Nein. Reden Sie nicht drum herum. Dabei gibt es allerdings große interkulturelle Unterschiede, die Sie kennen sollten, wenn Sie international arbeiten.
- Ein Angebot: Was können Sie machen? Das kann von einem wertvollen Tipp bis zu einem Gutschein für die nächste Bestellung reichen.
Bleiben Sie anschließend standhaft, denn natürlich zweifeln manche Kund*innen Ihre Entscheidung an und möchten darüber verhandeln. Sie werden nicht glücklich darüber sein, aber zumindest verstehen und akzeptieren sie Ihre Entscheidung am Ende meist. Mehr können Sie in einem solchen Moment nicht erwarten.
Emotionale Ansteckung: Ein Strahlenschutz für Ihre Emotionen
Bei einem verärgerten oder genervten Kunden ist es schwierig, sich davon nicht beeinflussen zu lassen. Die Psychologie spricht dann von emotionaler Ansteckung (emotional contagion).
Und ebenso leicht stecken wir mit unseren Gefühlen Kund*innen an – mit Freude wie mit mieser Laune. Wenn wir im Kundengespräch eigenen Frust nicht nur verbergen, sondern ihn auch aktiv reduzieren, dann färbt er weniger ab. Diese bewusste Veränderung der persönlichen Gefühle und Einstellung heißt in der Psychologie Emotionsarbeit durch Tiefenhandeln (emotional labour by deep acting). Das gelingt nur, wenn wir die emotionale Ansteckung wahrnehmen.
Im Gegensatz dazu hilft ein aufgesetztes Fassadenlächeln (Oberflächenhandeln, surface acting) nur wenig: Weder fühlen wir uns dann besser, noch verbessert es die Laune der Kund*innen. Schlimmer: Die Kund*innen sind anschließend noch verärgerter, enttäuschter oder frustrierter als zuvor.
Häufiges Fassadenlächeln erschöpft uns emotional. Und es ist unehrlicher und auch weniger authentisch als eine echt empfundene Freundlichkeit durch Emotionsarbeit. Das bemerken unsere Gegenüber. Wie oft habe ich gehört, das Lächeln der Servicekräfte in den USA sei aufgesetzt oder gar verlogen. Dort habe ich tatsächlich solche Sprüche wie „smile while you dial“ gelernt (übersetzt: Lächel, wenn du zum Telefon greifst). Leider ohne den Hinweis, dass ein aufgesetztes Lächeln wenig bewirkt.
Pogofähigkeit: die Kunst, schnell wieder aufzustehen
Meine Schwester war in ihrer Jugend in der Punkerszene und hat Pogo getanzt. Beim Pogo wird gehüpft und gerempelt und es gibt blaue Flecken. Die werden mit Fassung ertragen.
Die Arbeit im Kundenservice ist wie Pogo. Wir werden angerempelt, auch wenn es uns nicht gefällt. Wir müssen damit umgehen, dass andere Kritik üben. Wir haben Kontakt zu unzufriedenen oder verärgerten Menschen. Das macht nicht unbedingt Spaß und die meisten unter uns haben nicht gelernt, mit verbalen Rempeleien umzugehen. Unsere Kunden sind zudem oft nicht bereit, ein freundliches Zurückrempeln zu akzeptieren.
Und ganz schwierig: Wann ist die Grenze zwischen Rempeln und Beleidigung erreicht? Ist eine etwas lauter werdende Stimme ein Anbrüllen? Was sollte ich in meiner Rolle im Kundenservice noch aushalten und wann beende ich das Gespräch?
Gitta Peyn schreibt zur Zeit ein Buch über Pogofähigkeit und ich bin gespannt, was ich daraus für meine Kundenservice-Trainings mitnehmen kann. Ich werde berichten.
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