
Ich suche gerade nach wissenschaftlichen Studien zu Machtspielen und Mikropolitik in virtuellen Teams und finde wenig. Dabei ist es ein Thema, das für mich auf der Hand liegt. Ich habe mehrere Jahre in einem internationalen virtuellen Führungsteam gearbeitet. Wir waren Kundenservice-Führungskräfte im unteren Management in verschiedenen Ländern mit bis zu 9 Stunden Zeitunterschied. Um es komplizierter zu machen: in einer Matrix-Organisation. Um es noch komplizierter zu machen: Wir stammten aus verschiedenen Unternehmen, die der Konzern gekauft hatte.
Im Rückblick eine Arena für möglichst unsichtbar ausgetragene Versuche, Einfluss zu gewinnen oder zu behalten. Drei Muster erkenne ich im Nachhinein:
1. Wer am gleichen Standort wie die Führungskraft arbeitet, ist im Vorteil. Denn nichts kann das spontane persönliche Gespräch ersetzen. Das muss nicht an der Kaffeemaschine stattfinden, doch immer Face to Face. Wer dauerhaft remote arbeitet, hat dazu kaum eine Chance. Eine Videokonferenz ist kein gleichwertiger Ersatz, denn sie ist selten spontan möglich. Aus der Ferne konnte ich nicht sehen, wann meine Chefin aus einer Besprechung zurückkam und ansprechbar war.
Eine Kalendereinladung verändert den Charakter eines Gesprächs, denn es wird sofort formell und muss vorbereitet werden. Ein virtuelles Büro (z.B. in WorkAdventure) oder ein firmeninterner Chat kann da helfen, schafft das Problem aber nicht ab. Was es braucht, ist Bewusstsein für die schlechtere Position der remote Arbeitenden und den Willen, dagegen zu steuern.
2. Wer bei einer Besprechung im gleichen Raum wie die Führungskraft sitzt, ist im Vorteil. Denn aus der Ferne lässt sich die Stimmung im Raum nicht lesen. Wir merken schlechter, wenn ein Kollege unruhig auf dem Stuhl hin und her rutscht. Auch das Zucken der Augenbrauen entgeht uns meist. Und unter dem Tisch kann ich aus der Ferne niemanden anstoßen. Dazu kommt, dass die aus der Ferne zugeschalteten sich nicht spontan zu Wort melden, sondern höflich die Hand heben. Im Raum wird hingegen auch mal durcheinander geredet, womit die in der Ferne nichts mehr verstehen. Es braucht eine klare Absprache, dass auch die im Raum sich hinten anstellen oder die remote Zugeschalteten spontan reden dürfen.
3. Wer aus der gleichen Tochterfirma wie die Führungskraft stammt, ist im Vorteil. Denn die Firmenkulturen bleiben erhalten und lösen Konflikte aus. Daran ändern Hochglanz-Poster und Appelle (natürlich) nichts. Besonders auffällig wurde das in meinem Fall, als eine neue (große) Firma zugekauft wurde und wir an einen neuen Vorgesetzten übergeben wurden, der aus jener Firma stammte.
All das führt dazu, dass jene vor Ort ihre Interessen leichter durchsetzen können. Die Mechanismen sind subtil, doch wirkungsvoll. Darüber müssen Teams sprechen, wenn manche oder alle Teammitglieder ganz oder teilweise im Home Office arbeiten. Obwohl, oder gerade weil Einflussnahme und Mikropolitik Tabuthemen sind. Wir unterstützen Sie dabei.
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