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Die Verlockung der Lösungsorientierung

„Vor lauter Problemen weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht“ mag manche Führungskraft denken. Und ständig werden neue Probleme bei ihm oder ihr abgeladen, manche dringend, andere wichtig. Und immer mit der Erwartung einer Lösung. An der Kaffeemaschine und in Besprechungen diskutieren Mitarbeitende und Führungskräfte lang über Natur und Ursache der Probleme, wenig jedoch über Lösungen. 

Angesichts sich im Kreis drehender Diskussionen geraten Teams in Problemtrance, die das Problem immer unlösbarer erscheinen lässt. Der problemorientierte Dauerdiskurs schränkt den Möglichkeitsraum ein, denn statt an Zukunftsstrategien arbeiten Führungskräfte an altbekannten Problemen. Bis zu Recht der Ruf erschallt „Jetzt lass uns mal lösungsorientiert denken! Das Problem haben wir ja jetzt lang genug diskutiert.“

Manche Führungskraft hat sich schon gewünscht, die Mitarbeitenden mögen sich mit einer Lösung an sie wenden, statt mit Problemen. Der verzweifelten Hoffnung auf lösungsorientiertes Denken entstammt der Satz „Zu mir darf mit einem Problem nur kommen, wer auch eine Lösung mitbringt“. Der gut gemeinte Ansatz, die Mitarbeitenden (und auch die Kolleg*innen) zum Mitdenken zu erziehen, führt zur Gefahr der Übersteuerung. Das schadet nicht nur der Zusammenarbeit mit dem Team, sondern bringt handfeste Probleme für das Unternehmen mit sich. Denn zuviel Lösungsorientierung ist ebenso schädlich wie Problemtrance.

TL;DR

Lösungsorientierung ist eine feine Sache, doch braucht es immer eine Balance zwischen Problemanalyse und Lösungsfindung. Ein übermäßiger Fokus auf Lösungen bringt unerwünschte Nebenwirkungen mit sich:

  • Uneinigkeit über das Problem führt zu Uneinigkeit über die Lösung
  • Strukturelle Ursachen werden ignoriert
  • Eine Kultur der Dringlichkeit brennt Menschen aus
  • Eine vorgeschriebene Haltung löst Reaktanz aus

Daher muss Problemkonsens immer vor dem Lösungskonsens stehen. Diskussionen und Einwände sind hilfreich, damit wir nicht entscheidende Punkte übersehen

Vernachlässigung der Problemanalyse 

Problemtrance und Kaffeeküchengespräche liefern selten eine angemessene Problemanalyse. Meist wird die Komplexität des Problems unterschätzt und nur oberflächlich über die problemverursachenden und -verstärkenden Faktoren nachgedacht. Auch fehlen Grautöne, die oft erst durch kritische Nachfragen wahrgenommen werden.

Eine ausgeprägt lösungsorientierte Herangehensweise setzt (meist unbewusst) voraus, dass es immer eine Antwort oder Lösung für ein Problem gibt. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, insbesondere in komplexen Konstellationen mit mehreren Interessengruppen und unterschiedlichen Perspektiven.

Ohne ein umfassendes, mehrdimensionales und differenziertes Verständnis des Problems könnten Lösungsansätze entstehen, die langfristig nicht wirken oder die Lage sogar verschlimmern, denn nicht selten geht man von einer unzureichenden Erklärung aus oder löst sogar das falsche Problem. Symptome werden behandelt, ohne die Ursachen anzugehen. Auch unerwünschte Nebenwirkungen der vorschnell installierten Lösung bleiben unbeachtet. Damit ist schlimmstenfalls ein gesamtes Thema oder Projekt für das Team verbrannt. 

Uneinigkeit über das Problem führt zu Uneinigkeit über die Lösung

Sind Teams sich über die Ursache eines Problems verschiedener Meinung, können sie sich meist auch nicht auf eine Lösung festlegen. Anhaltende Diskussionen, bei denen jeder Lösungsvorschlag zerredet wird, deuten auf eine unzureichende Problemanalyse. Das führt spätestens dann zum Konflikt, wenn bei der Umsetzung einer mühsam gefundenen Lösung Schwierigkeiten auftauchen. Befürworter und Gegner haben ihre Standpunkte festgelegt und im schlimmsten Fall entsteht ein Machtkampf. 

Strukturelle Ursachen werden ignoriert

Die vorschnelle Suche nach Lösungen ohne Berücksichtigung von Komplexität endet oft in der Suche nach Schuldigen. Die Verantwortung für Probleme – und damit für deren Lösung – wird vorschnell auf einzelne Personen oder Gruppen abgewälzt. Strukturelle Ursachen von Problemen werden übersehen oder ignoriert, da sie schwerer zu verstehen und noch mühsamer zu verändern sind. Statt dessen wird versucht, die in Unternehmen unvermeidbaren Zielkonflikte durch Appelle an die Mitarbeitenden zu lösen. Oder Bürokratie wird verstärkt, um Personen und Prozesse zu steuern und zu kontrollieren. Damit handelt das Unternehmen sich oft weitere Probleme ein: Von der Demotivation der Mitarbeitenden bis zur fehlenden Flexibilität in einem Umfeld, das sich dynamisch verändert. 

Eine Kultur der Dringlichkeit brennt Menschen aus

Insbesondere wenn es keine ausreichenden Ressourcen oder Unterstützungssysteme gibt, fühlen Mitarbeitende und Führungskräfte sich vom Lösungsdruck gleichermaßen überfordert. Sie brennen aus und verlieren die Motivation, sich um relevante Themen zu kümmern. Raum für Reflexion, Akzeptanz und das Erforschen von Problemen ist essentiell, damit Mitarbeitende auch dann zur Führungskraft kommen, wenn sie keine Lösung wissen oder keine Kapazität für die Umsetzung haben. Wer immer den Boten in die Verantwortung nimmt, bestraft die Mitarbeitenden, die Probleme wahrnehmen und ansprechen.  

Besonders fatal wird der Lösungsdruck, wenn ethische Standards ignoriert werden, um Unmögliches möglich zu machen. Das konnten wir im Dieselskandal beobachten. 

Eine vorgeschriebene Haltung löst Reaktanz aus

Der Ruf nach mehr Lösungsorientierung führt bei vielen Mitarbeitenden zu Reaktanz, weil Menschen sich nicht gerne vorschreiben lassen, was sie denken sollen. Auch fühlen sie sich in der Problembeschreibung nicht ernst genommen. Ich beobachte immer wieder, dass Mitarbeitende früh eine Lösung vorgeschlagen hatten, die der Führungskraft nicht umsetzbar oder wünschenswert erschien – sei es aus Mangel an Ressourcen oder aus strategischen Gründen. Wenn die Mitarbeitenden dann beharrlich das Problem ansprechen, ist der Appell zu mehr lösungsorientiertem Denken ein Schlag ins Gesicht. 

Sagen die Führungskräfte genervt, die Mitarbeitenden hätten das falsche Mindset, ließen Eigeninitiative missen und verweigerten sich allen Lösungsvorschlägen, ist das für mich ein Indiz, dass sie möglicherweise frühere Vorschläge der Mitarbeitenden missachtet haben. 

Problemkonsens vor Lösungskonsens

Winfried Berner hat in seinem großartigen Lexikon des Change Management den Grundsatz aufgestellt: Problemkonsens vor Lösungskonsens

Konsens über das Problem entsteht nur, wenn wir uns in die oft mühsame und frustrierende Problemanalyse begeben. Das ist vor allem für jene schmerzhaft, die die aktuelle Situation geprägt haben – meist die Führungskräfte. Problemanalyse fühlt sich für sie als Kritik an und ihre früheren Entscheidungen werden in Frage gestellt. Nicht selten bereuen sie ihr fehlendes Engagement zur Lösung eines lang bekannten Problems – auch wenn es Gründe dafür gab. 

Einwände sind hilfreich

Unerwartete Nebenwirkungen können bei jeder Lösung auftreten. Oft müssen sie das sogar, weil das zu lösende Problem ein Dilemma mit konkurrierenden und widersprüchlichen Zielen ist. In Komplexität gibt es nicht die eine richtige oder optimale Lösung, denn alle Lösungen haben Schwachpunkte und unerwünschte Nebenwirkungen. 

Daher sind Einwände essentieller Teil der Problemanalyse als auch bei der Lösungsfindung. Damit verhindern Sie eine zu frühzeitige Festlegung auf eine Lösung. Einwände sind nicht nur Machtspiel oder Verweigerungshaltung, sondern oft berechtigt. Sie dürfen nur nicht dazu führen, dass alle möglichen Lösungen auf der Suche nach einer nebenwirkungsfreien Alternative verworfen werden. Denn die gibt es in Komplexität nicht.

Bild erstellt mit Leonardo.ai

30. Juni 2023

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